Wildtierverbot in Zirkusbetrieben auf Tübinger Stadtgebiet

Wildtierverbot in Zirkusbetrieben auf Tübinger Stadtgebiet /interfraktioneller Antrag mit AL / Grüne

Antrag:

Der Rat der Gemeinde Tübingen möge beschließen, dass kommunale Flächen künftig nur noch an Zirkusbetriebe vermietet werden, die keine gefährlichen Wildtiere mitführen. Hierunter fallen insbesondere Elefanten, Flusspferde, Giraffen, Großbären, Großkatzen, Nashörner, Primaten ab Makakengröße und Wölfe. Bereits geschlossene Verträge oder Zusagen bleiben von dem Beschluss unberührt.

Begründung (Zusammenfassung):

Ausbrüche von Wildtieren wie Elefanten, Tiger oder Bären aus Zirkusbetrieben sind vielfach dokumentiert. 2015 wurde ein Mann im baden-württembergischen Buchen von einem Elefanten aus einem Zirkus getötet. In Europa sind seit 1987 mindestens 194 gefährliche Vorfälle registriert. Dabei wurden 17 Personen von Elefanten im Zirkus getötet und mindestens 59 teilweise schwer verletzt. Insgesamt kam es zwischen 2009 und 2016 zu mindestens 45 Ausbrüchen von Bären, Elefanten, Flusspferden, Großkatzen, Nashörnern und Primaten aus Zirkusbetrieben in Deutschland.

Eine deutliche Mehrheit der Deutschen steht Gastspielen von Zirkusbetrieben mit Wildtieren kritisch gegenüber. Einer repräsentativen forsa-Umfrage vom Mai 2014 zufolge vertreten 82 % die Auffassung, dass Wildtiere nicht artgerecht im Zirkus gehalten werden können. Zwei Drittel der Bevölkerung unterstützt repräsentativen Umfragen zufolge ein Wildtierverbot im Zirkus. Bereits 21 europäische Länder, darunter die Niederlande, Österreich und Belgien, haben bestimmte Tierarten im Zirkus verboten.

Anlage

Ausbrüche von Wildtieren wie Elefanten, Tiger oder Bären aus Zirkusbetrieben sind vielfach dokumentiert. So brachen beispielsweise zwischen 2009 und 2016 insgesamt mindestens 25 Mal Elefanten aus Zirkusbetrieben in Deutschland aus oder liefen unbeaufsichtigt umher. Dabei wurden mindestens vier Menschen zum Teil schwer verletzt. 2015 wurde ein Mann im baden-württembergischen Buchen von einem Elefanten aus einem Zirkus getötet. Bei einigen Vorfällen waren zudem Sachschäden zu verzeichnen. In Europa sind seit 1987 mindestens 194 gefährliche Vorfälle registriert. Dabei wurden 17 Personen von Elefanten im Zirkus getötet und mindestens 59 teilweise schwer verletzt2. Auch der Bundesrat verweist in seiner Entschließung 2016 für ein Verbot von Wildtieren im Zirkus auf die Gefahrensituation: „Ferner sind vermehrte Zwischenfälle mit den genannten Tierarten und Ausbrüche von Zirkustieren augenfällig, die auch die Bevölkerung immer wieder gefährden.“ Einen Grund dafür sieht die Länderkammer darin, dass die „eigentlich notwendige Einrichtung von ausreichend großen, ausbruchsicheren und artgerecht ausgestatteten Gehegen […] mit der Notwendigkeit zur fortwährenden Mobilität“ kollidiert. Insgesamt kam es zwischen 2009 und 2016 zu mindestens 45 Ausbrüchen von Bären, Elefanten, Flusspferden, Großkatzen, Nashörnern und Primaten aus Zirkusbetrieben in Deutschland.

Der Bundesrat verweist in seiner Entschließung im Jahr 2016 auf Verhaltensstörungen vieler Tiere im Zirkus als Folge der schlechten Haltungsbedingungen in einem mobilen Betrieb. Dadurch wird das Verhalten der Tiere unberechenbar und Gefahrensituationen werden kaum vorhersehbar. Selbst jahrelang unauffällige oder als „gezähmt“ geltende Wildtiere können unvermittelt und ohne ersichtlichen Grund zur Gefahr werden. So wurde die Elefantenkuh „Benjamin“, die im Juni 2015 einen Passanten im baden-württembergischen Buchen tötete, 2013 vom Kreisveterinäramt Bad Tölz-Wolfratshausen als „in keinster Weise aggressiv“ wirkend bezeichnet. Ein Verhaltensforscher, der ein Gutachten über diese Elefantenkuh erstellte und zur etwaigen Gefährlichkeit des Tieres befragt wurde, betonte 2014, dass der Elefant „psychisch vollkommen ausgeglichen“ sei.

Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DVUG) ist der Spitzenverband für die gewerblichen Berufsgenossenschahen und der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand. Die Unfallversicherungsträger haben Regeln zur Unterstützung der Unternehmer und Versicherten bei der Wahrnehmung ihrer Pflichten im Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz erarbeitet. Für die Haltung von Wildtieren in Zoos und Tierparks gilt die „BGR/GUV-R 116“ in der aktualisierten Fassung von 2012. Als gefährliche oder besonders gefährliche Tierarten sind demnach Elefanten, Flusspferde, Giraffen, Großbären, Großkatzen, Nashörner, Primaten ab Makakengröße und Wölfe u. a. klassifiziert. Für deren Haltung sind besondere Sicherheitsanforderungen vorgeschrieben, die vor allem hinsichtlich der besonders gefährlichen Wildtierarten in mobilen Einrichtungen wie Zirkusbetrieben aufgrund baulicher und personeller Anforderungen nicht umsetzbar erscheinen. Die Anzahl der Ausbrüche und Vorfälle mit gefährlichen Wildtieren sowie die hohen Anforderungen an die sichere Haltung dieser Tierarten in Zoos und Tierparks zeigt, dass ein vergleichsweise bedeutendes Gefährdungspotenzial in den entsprechenden Zirkusbetrieben gegeben ist.

Eine deutliche Mehrheit der Deutschen steht Gastspielen von Zirkusbetrieben mit Wildtieren kritisch gegenüber. Einer repräsentativen forsa-Umfrage vom Mai 2014 zufolge vertreten 82 % die Auffassung, dass Wildtiere nicht artgerecht im Zirkus gehalten werden können. Zwei Drittel der Bevölkerung unterstützt repräsentativen Umfragen zufolge ein Wildtierverbot im Zirkus. Bereits 21 europäische Länder, darunter die Niederlande, Österreich und Belgien, haben bestimmte Tierarten im Zirkus verboten.

Dennoch sind auf nationaler Ebene weiterhin keine Beschränkungen für Wildtiere im Zirkus geplant. Zuletzt wurde im Juni 2017 im Bundestag ein Antrag für ein Verbot von Wildtieren im Zirkus von der Bundesregierung abgelehnt.

Rechtliche Einordnung:

Die Oberverwaltungsgerichte Lüneburg und Greifswald haben 2017 enge Grenzen für ein kommunales Zirkus-Wildtierverbot gesetzt und einer alleinigen Begründung mit Tierschutzargumenten Absagen erteilt. Das OVG Lüneburg betont jedoch:

Zur Klarstellung wird darauf verwiesen, dass von der vorbezeichneten Sperrwirkung gefahrenabwehrrechtliche (vgl. etwa Bayr. VGH, Beschl. v. 1.7.2012 – 10 CS 12.1475 -, juris, Rn. 4) einschließlich bauordnungsrechtlicher Gründe für ein Verbot des Mitsichführens von Wildtieren ebenso wenig mit umfasst sind wie ein Einschreiten aus Tierschutzrechtlichen Gründen im Einzelfall, die nicht vom Regelungsgehalt der Genehmigung nach § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 d TierSchG eingeschlossen sind; ebenso wenig ist eine Kommune verpflichtet, für den AubriB von Zirkussen mit Wildtieren geeignete Flächen überhaupt vorzuhalten oder allgemein Tiere in ihren Einrichtungen (außerhalb etwa von Tierheimen) zuzulassen.

Bereits 2016 entschied das Verwaltungsgericht Darmstadt zu Gunsten der Stadt Reinheim, die auf ihrer Fläche ein Zirkusgastspiel mit Tigern untersagte. Die Stadt hatte mit der Gefahrenlage argumentiert. Das Verwaltungsgericht betonte, die Gemeinde habe „bei der Vergabe von Veranstaltungsplätzen einen weiten Gestaltungsspielraum und könne die Vergabe des Platzes zulässigerweise auf eine Veranstaltung ohne Raubtiere beschränken“.

Unter Berücksichtigung des Beschlusses des OVG-Lüneburg sowie vorangegangener Gerichtsentscheidungen zeigt ein Rechtsgutachten der Stabsstelle Tierschutz des Ministeriums für Ländlichen Raum (BW) Städten und Gemeinden auf, wie unter Beachtung der aktuellen Rechtslage bestimmte Wildtierarten von kommunalen Flächen ausgeschlossen werden können. Demnach werden Beschränkungen von Zirkusbetrieben mit gefährlichen Tieren als rechtskonform gewertet, weil die öffentliche Sicherheit in kommunaler Zuständigkeit liegt. Unter anderem hat die Stadt Meerbusch 2017 ein an die aktuelle Rechtslage angepasstes Zirkus-Wildtierverbot beschlossen und in der Beschlussvorlage hauptsächlich ordnungs- und sicherheitsrelevante Argumente angeführt.

Insgesamt haben bereits über 80 Städte – darunter Köln, Stuttgart, Chemnitz, Düsseldorf, Erlangen, Osnabrück, Leipzig, Worms und Heilbronn – ein Zirkus-Wildtierverbot auf eigenen Flächen etabliert. Die vor 2017 gefassten Beschlüsse argumentieren meist mit der systembedingt mangelhahen Haltung von Wildtieren im Zirkus unter Verweis auf ein rechtskrähiges Urteil des Verwaltungsgerichts München, welches die Rechtmäßigkeit eines kommunalen Wildtierverbots in der Stadt Erding bestätigte. Das Verwaltungsgericht München sieht im kommunalen Wildtierverbot keinen Verstoß gegen die verfassungsmäßig geschützten Rechte der Berufs- und Kunstfreiheit oder des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs. In zweiter Instanz äußerte sich der Bayerische Verwaltungsgerichtshof und bestärkte während der mündlichen Verhandlung 2016 die vorangegangene Entscheidung des VG München mit Hinweis auf das Selbstverwaltungsrecht der Kommunen (Art. 28 Abs. 2 GG)18. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof betonte die Entscheidungsfreiheit der Städte bei der Ausgestaltung ihrer Veranstaltungskonzepte. Die Entscheidung, Zirkusbetriebe mit Wildtieren abzulehnen, basierte dabei dem Gericht zufolge maßgeblich auf der ablehnenden Haltung der Bevölkerung gegenüber Wildtieren in Zirkussen und negativen Erfahrungen mit anderen Zirkusbetrieben.