Sehr geehrte Damen und Herren,
Sehr geehrte Frau Harsch, sehr geehrter Herr Soehkle
Sehr geehrter Oberbürgermeister Dings,
Liebe Bürgerinnen und Bürger da draußen an den digitalen Empfangsgeräten,
Auch dieses Jahr wird wieder ein historisches Jahr für uns. Das liegt zum einen an der Natur des kontinuierlichen Fortschreitens der Zeit – und zum Anderen an den Krisen. Und Krisen haben wir zur Zeit reichlich. Der Klimawandel bedroht unsere Existenz und wir haben nicht mehr viel Zeit um das 1,5 Grad Ziel zu erreichen, der Wohnungsmarkt wird immer angespannter und die veganen Köche drehen durch. Kurz gesagt – die Kacke ist am dampfen.
Aber es gibt auch erfreuliche Neuerungen. Die zahl der Radfahrenden hat Bundesweit aus unerfindlichen Gründen zugenommen, das Klimaschutzprogramm ist verabschiedet und die Sitzungen des Gemeinderates werden inzwischen online gestreamt. Das sind durchaus positive Entwicklungen.
Und diese positiven Entwicklungen gilt es nun zu fördern und zu beflügeln! In diesem Geiste sind in diesem Jahr unsere Haushaltsanträge gestaltet.
Wir wollen zwei Radbeauftragte für die Stadt Tübingen, die die Entwicklung der Radinfrastruktur in Tübingen verbessern und und weiter vorantreiben können. Wir wollen baulich geschützte Radwege – vom Lustnauer Tor an die Adlerkreuzung und vom Pauline-Krone-Heim ans WHO. Wir wünschen mehr Biodiversität in Form von bienenfreundlichen Begrünungen mit regionalen Pflanzen in der Stadt und wir wollen eine Erhöhung des Budgets des Fachbereichs Hochbau und Gebäudemanagement um 4 Mio EURO um die für das Klimaschutzprogramm nötigen Sanierungen schnell und gut durchführen zu können. (BTW. Falls sie gerade zuhören und arbeitslose/r Bauingenieur:in auf Jobsuche sind, melden Sie sich!)
Der Klimaschutz und soziale Fragen gehen Hand in Hand. Wir wollen das 365€ Ticket, das dieses Jahr echt kommen muss, weil die SPD das in der Landtagswahl gefordert hat. Wie wollen dass alle Vereine die Förderung bekommen die sie benötigen. Ein ganz besonderes anliegen sind uns hier die kit Jugendhilfe und der Berghof, das Umweltzentrum und im besonderen die Narrenzunft Pfrondorf, deren kulturelle Bedeutung kaum überschätzt werden kann.
Ein weitere anliegen ist uns die Bekämpfung von Periodenarmut:
[Schluck Wasser]
In Deutschland werden Menschen mit Regelblutungen systematisch benachteiligt, da sie die Kosten der Hygieneartikel für Menstruation selbst tragen müssen.
Daneben gibt es noch finanzielle Belastungen durch regelbedingte Krankheitstage und Medikamente gegen Schmerzen.
Die Kosten eines Periodenlebens belaufen sich auf ca. 7000€
Periodenarmut bezeichnet eingeschränkte Möglichkeiten in Bezug auf die Periode. Dazu gehören zum Beispiel fehlende finanzielle Ressourcen, um sich Periodenprodukte zu kaufen oder fehlender Zugang zu sanitären Einrichtungen. Aber auch unzureichende Informationen und mangelnde Unterstützung kann Teil von Periodenarmut sein.
Periodenarmut kann ein starkes Gefühl von Scham, Erniedrigung und Ausgrenzung auslösen. Zudem kann sie ernsthafte gesundheitliche Konsequenzen haben! Diese können z.B. durch zu lang genutzte Periodenprodukte oder das Verwenden von dreckigem Stoff, Zeitung oder Papier entstehen.
Jeden einzelnen Tag menstruieren etwa 800.000.000 Menschen. Davon sind mindestens 500.000.000 von Periodenarmut betroffen. Einen großen Teil davon machen z.B. einkommensschwache und obdachlose Menschen. Also Menschen, die auch schon mit anderen Umständen genug zu kämpfen haben.
Deshalb fordern wir: kostenlose Tampons und Binden auf allen städtischen öffentlichen Toiletten, sodass zumindest menstruierende Frauen in unsere Stadt Menstruationsgerechtigkeit erfahren können
[Schluck Wasser]
Selbstverständlich wollen wir auch das kulturelle Leben in der Pandemie nicht zu Kurz kommen lassen. Wir setzen uns im Namen des Stadtmarketings für ein Stadtinfluencer:innen-Stipendium, analog zur Stadtschreiber:in, ein, denn es ist an der Zeit, dass wir Literatur und Social Media auf die gleiche Stufe heben. Die Digitalisierung gebietet das und wer etwas anderes behauptet ist ein Boomer.
Ein weiteres ,zentrales Anliegen ist uns die Ausrichtung einer großen postpandemischen Riesensause. Erst diese Woche berichtete das Tagblatt davon, dass, wegen des zu geringen Absatzes, die Brauerei Schimpf Bier vernichten musste und auch die Kneipen hatten und haben sehr unter der aktuellen Situation zu leiden. Deshalb wollen wir nach Ende der Pandemie, also irgendwann zwischen 2021 und 2040 ein großes Stadtfest ausrichten um den Gaststätten eine nötige Starthilfe zu geben.
Nun zur Finanzierung:
In letzte Zeit wurde häufiger gesagt die Politik solle sich bei den Discountern eine Scheibe abschneiden, weil die es ja angeblich geschafft haben Schnelltests zu besorgen. Wir wollen deshalb im Geiste des Aldi Gründers Karl Albrecht die geplante Anhebung des Gewerbesteuerhebesatzes nicht um 10 Punkte wie von der Verwaltung vorgeschlagen, sondern um 9,99 Punkte. Dieses Vorhaben ist nicht nur ein Zeugnis unserer Wirtschaftsfreundlichkeit, es scheint obendrein auch den Willen des Volkes abzubilden.
Des weiteren wollen wir die hier oftmals zitierte Digitalisierung vorantreiben. Wir haben uns die größten Tech-Konzerne angeschaut und haben uns gefragt, was macht Google eigentlich so erfolgreich? Die Antwort, sehr verehrte Damen und Herren, heißt WERBUNG. Wir wollen in den Streams der Gemeinderatssitzungen kostenpflichtige Werbeplätze einrichten damit hier zielgruppengerechte Werbung eingeblendet werden kann, also Werbung für Rollatoren, Kugelschreiber und Schreibmaschinen. Dies fordern wir nicht nur im Namen der Haushaltskonsolidierung sondern vor allem im Namen der bedingungslosen durchdigitalisierung des öffentlichen Sektors.
Auch Einsparungen schlagen wir vor, so sind wir zum Beispiel der Ansicht, dass man auf die Entfernung von Graffiti gut verzichten kann, schließlich werden während der nächsten Lockdowns eh nicht genügend Leute auf der Straße sein um sich daran zu stören
Der oder die geneigte Schwäbin wird im Kopf mitgerechnet haben und denkt sich jetzt sicherlich ganz schockiert, dass das ja trotz der brillanten Deckungsvorschläge alles sehr teuer wird. Wir sagen: Ja, das wird teuer – und das ist auch gut so.
Unserer Ansicht nach, und Übrigens auch der von John Maynard Keynes (falls ich den Wikipedia-Artikel richtig gelesen habe), ist es die Aufgabe der öffentlichen Hand in Zeiten der Krise in die Zukunft zu investieren. Das bedeutet Radbrücken, Radwege, ökologische Sanierungen und überdimensionierte Winkekatzen müssen gerade in den Jahren gebaut werden, in denen das Gewerbe die Gürtel enger Schnallen muss. Woher sonst sollen die Aufträge für Radwege-, Radbrücken und Winkekatzenbauer:innen denn kommen?
Vor ein paar Wochen haben wir hier über die Teilnahme an einem überregionalen KI-Park diskutiert und ich meine mich zu erinnern dort mehrfach die Buzzwords “antizykliche Wirtschaftspolitik” und “Zukunftstechnologien” als Legitimation für dies Vorhaben gehört zu haben. Wer dieses Argument damals in der Zustimmung zum Park genutzt hat, der möge doch jetzt in den Verhandlungen bitte nicht versuchen Radbrücken und Bäume einzureißen, nur weil die nicht ganz so hübsch klingen und prestigeträchtig sind wie KI-Parks.
Wir haben großes vor mit Tübingen und freuen uns jetzt auf die kommenden Gespräche und Verhandlungen.