II
3. Mitglieder aus Verwaltung, Gemeinderat und Integrationsrats, handelt es sich […]
Neue Punkte:
- Alle Straßen im Gebiet der Stadt Tübingen, die nach Personen benannt sind, die Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Chauvinismus und andere gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (z. B. Frauenfeindlichkeit, Homophobie, Behindertenfeindlichkeit) nachweislich ausgeübt oder unterstützt haben sollen ersetzt werden.
- Um nicht in den Gefahr zu kommen, Geschichte zu vergessen oder gar “auszulöschen”, werden die im vorherigen Punkt erwähnten Fälle durch Namen von Opfer gruppenbezogener menschenfeindlicher Gewalt (insbesondere Mord) oder durch Namen von Wiederstandkämpfer*innen gegen solche Ideologien ersetzt.
IV
- “3. Die durch die Benennung zu ehrende Person soll einen Bezug zu Tübingen haben.” streichen.
- 4. Frauen sind bisher bei der Benennung der Straßen im Stadtgebiet nicht angemessen vertreten. Bei der Benennung von Straßen sollen als Zielgröße daher mindestens 50% der Straßennamen nach nicht cis-männer Personen bennant sein.
- 5. Die Diversität der Universitätsstadt Tübingen soll bei der Benennung von Straßen berücksichtigt werden. Als Zielgröße sollen mindestens 25% der Straßennamen nach Migrant*innen, Jüdinnen:Juden, People of Color oder andere Personen, die Rassismus erfahren, benannt werden.
Begründung:
Vor 3 Jahren hat unsere Fraktion den Antrag gestellt, zu prüfen, ob die folgenden drei Personen würdig sind, in Tübingen mit Straßennamen geehrt zu werden: Eduard Haber, Eduard Spranger, Wilhelm Schussen. 3 Jahre später liegen uns nun die Ergebnisse dieser Prüfung vor. Unsere Vermutung hat sich leider bestätigt, dass sie es nicht sind.
Da diese Maßnahme längst überfällig ist, plädieren wir für die rasche Umsetzung von Umbenennung aller Straßennamen, die Menschen ehren, die großes Leid angetan haben, mitverursacht oder unterstützt/gutgeheißen haben.
Es geht um Recht, Unrecht, Gefühle und Existenz der Menschen in Tübingen, die noch heute unter den Folgen von Rassismus, der Kolonialisierung und des Nationalsozialismus leiden, es geht um das klare Zeichen, dass Tübingen eben keinen „kolonialen Willen“ hat und dass Tübingen keine Rassist*innen/Antisemitin*innen/Kolonialist*innen ehrt. Der bürokratische Aufwand für die Anwohner*innen ist da ein überschaubarer Preis. Es sollte im Interesse aller Anwohner*innen der Straße sein, endlich nicht mehr den Namen eines kolonialen Nazis auf ihrem Adressbogen zu haben und Tübingen sollte froh sein, ein*e Verbrecher*in weniger zu ehren.
Der Integrationsrat beziehungsweise Personen, die noch heute unter den Folgen von Rassismus, der Kolonialisierung und des Nationalsozialismus leiden, sollen eine großere Stimme in diesem Prozess erhalten und zu jeder Straßenbenennung und Umbenennung stärker miteinbezogen werden.
Durch die Umbenennung der Straße zu Ehren von Opfer von rassistischemotivierte Mord (wir im Fall von Kiomars Javadi Mord) oder Wiederstandkämpfer*innen gegen dessen Ideologien bei gleichzeitiger Aberkennung dieser gegenüber, zum Beispiel einem Befürworter des Nationalsozialismus, setzt Tübingen ein klares Zeichen gegen rassistisch motivierte Gewalt. Außerdem geht Tübingen dadurch einen weiteren Schritt in die Richtung, gesellschaftliche Ehrungen nicht mehr den Täter*innen, Mitläufer*innen und passiven Unterstützer*innen, sondern den Opfern und Wiederstandkämpfer*innen des Nationalsozialismus zukommen zu lassen, ohne die Geschichte zu vergessen oder gar “auszulöschen” (Wort und Argument aus dem Abschlussbericht der Kommission zur Überprüfung der Tübinger Straßennamen).
Wir lehnen lokalpatriotistische Politik und denken nicht, dass alle Straßen mit Namen von Personen mit einem Bezug zu Tübingen benannt werden sollen. Das war noch nie so (zum Beispiel Bismarckstraße) und wir sehen keinen guten Grund dafür, warum dies eingeführt werden soll.
Beispiele von Personen die keine Straßenname nach ihnen benannt haben und zukünftig haben könnten:
Kiomars Javadi flüchtete 1986 aus dem Iran und wohnte bis zu seiner Ermordung 1987 mit seiner Frau in Tübingen. Als er am 19.08.1987 im damaligen Tübinger Supermarkt “Pfannkuch” einige Einkäufe erledigen wollte, schleppten ihn mehrere Angestellte des Supermarkts zunächst in den Keller, wo er mittels eines Gummiknüppels misshandelt wurde. Zunächst konnte er aus dem Keller des Supermarktes fliehen, wurde jedoch im Hinterhof von den Angestellten eingeholt und in einen Würgegriff genommen. Nach 4-6 Minuten verstarb Javadi, während mindestens 15 Zeugen dabei zu gesehen haben. Nach 18 Minuten traf die Polizei ein, und legte dem bereits verstorbenen Javadi Handschellen an.
Unmittelbar nach dem Tod wurde offenbar ein erfundene Notwehr für die beiden Haupttäter konstruiert, wonach Kiomars beim Ladendiebstahl ertappt worden sei. Man präsentierte der Polizei einen Einkaufswagen, den das Opfer angeblich benutzt haben soll, mit Lebensmitteln, die vorgeblich gestohlen wurden. Jedoch fanden sich keine Fingerabdrücke von Kiomars Javadi auf den Lebensmitteln. Angeblich habe sich Javadi einen Einkaufswagen mit Ware voll gestopft und versucht durch die Hintertür zu fliehen. Die wahrscheinlich rassistischen Hintergründe und ein bedingter Tötungsvorsatz waren vor Gericht kein Thema. Sogar die Täter selbst sagten vor Gericht, dass es sich eigentlich gar nicht um einen Ladendiebstahl gehandelt hätte.
Am 30. Juni 1988 wurde nach einem kurzen Prozess das Urteil gegen die beiden Pfannkuch-Mitarbeiter verkündet. Die beiden Täter bekamen eine Freiheitsstrafe von 18 Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. (Quelle 1, 2 und 3)
Charlotte Pagel wurde am 29. September 1894 als Tochter des bekannten Medizinhistorikers Julius Leopold Pagel und seiner Frau Marie, geb. Labaschin, in Berlin geboren. Da ihr jüngerer Bruder Walter 1926 in Tübingen eine Assistenzarztstelle als Prosektor am Anatomischen Institut der Universität annahm, kam Charlotte Pagel mit ihrem kranken Bruder Albert 1927 nach Tübingen; sie wohnten in der Kelternstraße 8. Charlotte Pagel versorgte und pflegte ihren Bruder, der an einer chronischen Krankheit litt. Zeitzeugen haben die Geschwister Pagel als liebenswürdige Nachbarn in Erinnerung behalten und erzählen, wie Charlotte arme Kinder in der Hölderlinschule mit Vesperbroten versorgte. Beide Geschwister wurden am 20. August 1942 in der Kelternstraße abgeholt und am 23. August von Stuttgart aus nach Theresienstadt deportiert, am 23. Januar 1943 weiter nach Auschwitz, wo sie ermordet wurden. (Quelle 4)
Clara Pollak wurde am 17. Februar 1900 als vierte von sechs Schwestern in Olnhausen an der Jagst geboren. Sie lebte von 1914 bis 1931 in Tübingen zuerst in der Rümelinstraße 2, dann nach dem Tod ihres Vaters ab 1925 in der Keplerstraße 5 zusammen mit ihrer Mutter und den Schwestern Mathilde und Selma. 1931 heiratete sie Wilhelm Dreyfuss in Karlsruhe. Mit ihm hatte sie eine Tochter, Bertha, und einen Sohn, Leo. Seit 1935 lebte bei ihnen auch ihre Mutter Pauline Pollak. Während diese zu Besuch bei ihrer anderen Tochter Mathilde in Würzburg war, wurde Clara 1940 mit ihrem Mann und den beiden Kindern in das südfranzösische Internierungslager Gurs deportiert. 1942 wurden Clara und ihr Mann von Gurs weiter nach Auschwitz verschleppt. Beide wurden dort ermordet. (Quelle 5)
Quellen:
1.https://de.wikipedia.org/wiki/Kiomars_Javadi
2.http://unvergessen.blogsport.de/javadi-kiomars/
3.https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13526485.html
4.https://de.wikipedia.org/wiki/Stolpersteine_in_T%C3%BCbingen_Innenstadt#Charlotte_Pagel
5.https://de.wikipedia.org/wiki/Stolpersteine_in_T%C3%BCbingen_Innenstadt#Clara_Pollak,_verh._Dreyfuss