Mittwochspalte 20.04.2022

“Endlich wieder weiß”

Die Steinlach-Unterführung sowie der Tunnel zwischen Haagtor und Neckarhalde wurden jetzt wieder von Graffiti gereinigt. Und das obwohl, weniger als eine Woche davor, der Haushalt der Stadt Tübingen für 2022 beschlossen wurde. In diesem steht, auf unsere Initiative hin und mit einer großen Mehrheit, dass 2022 deutlich weniger Geld für die Reinigung von Graffitis in der Stadt ausgegeben werden sollen. Denn diese kostet die Stadt viele tausende von Euros Steuergelder. Die Reinigung ist dazu meist umweltschädlich. Nach der Reinigung stehen eine paar Stunden später natürlich schon wieder die neuen Graffitis. So wie immer. “Endlich wieder weiß” hat jemand in einer schönen Schrift geschrieben: frische Leinwand für die illegalisierten Künstler*innen der Stadt. Die Stadt könnte stattdessen den dafür vorgesehenen fünf bis sechsstelligen Betrag für die Reinigung von Graffitis für viel sinnvollere Aufgaben nutzen, statt einen sinnlosen Kampf zu führen.

Graffiti gilt als ein zentrales Ausdrucksmittel und ist Teil des urbanen Lebensgefühls. Es ist zum Beispiel in Wien, Helsinki und Potsdam bereits als Kunst und Teil der Stadtkultur anerkannt. Viele Graffitis sind notwendige und wichtige Satire und Kritik an den aktuellen Zeiten. Gleichzeitig gibt es allerdings derzeit für Künstler*innen in Tübingen zu wenig Flächen, auf denen sie ihre Kunst darstellen können und die mangelnde Rechtssicherheit für Künstler*innen führt dazu, dass die Flächen nicht aufwendig gestalten werden können. Indem wir Graffiti beseitigen, entscheiden wir uns für eine strenge himmlische Ordnung, für extreme Reinheit und für überholte ästhetische Ideale, an denen wir festhalten wollen, statt für eine lebendige, vielfältige, bunte und tolerante Stadt.

Diese bereits für Graffiti genutzten Flächen sollten meiner Meinung nach dauerhaft freigegeben werden, statt dauerhaft gereinigt. Wir würden dadurch diesen teuren und sinnlosen Kreislauf der gegenseitigen Provokationen durchbrechen. Intolerante Sprüche würden dann auch schnell unter empathischer Kunst verschwinden. Dies würde nicht nur Kosten sparen sondern auch zu einer Aufwertung des Stadtbildes, Unterstützung der Künstler*innen und zu einer Verbesserung der Qualität der dort dargestellten Kunst. Vielleicht schenken sogar irgendwann renommierte Künstler*innen ihre Werke Tübingens Wände.